Anlässlich des internationalen Weltfrauentages erschien im Moments KÄRNTNERiN Das Frauen- und Lifestylemagazin ein Interview mit Elena Smirnova über das Thema „Frau sein in Österreich“. Nun könnt ihr dieses Interview hier in voller Länge nachlesen.

Bitte stell dich unseren LeserInnen ein bisschen vor…
Herzlichen Dank für die Einladung zum Interview. Ich bin gebürtige Russin und lebe seit mehr als 10 Jahren in Österreich, davon die letzten sieben Jahre in Kärnten. Hier habe ich letztes Jahr den Master im Bereich Geographische Systemwissenschaften gemacht. Seit Jahren gestalte ich als freie Journalistin und Radiomacherin leidenschaftlich diverse Radiosendungen für Radio Agora, Radio Orange und für weitere nichtkommerzielle Radiostationen. Mich hat immer schon das politische Geschehen, besonders in Bezug auf Frauenrechte und Migration, interessiert. Deshalb habe ich als Autorin und Moderatorin die Sendung „Subject Woman. Frauen Perspektiven aus aller Welt“ ins Leben gerufen. Zur meinen anderen Projekten gehört auch die Sendung „Russische Stunde“, eine Sendung über die Russische Musik und Kultur. Ebenso bin ich seit kurzem bei der Redaktionsgruppe „Women on Air“ bei Radio Orange in Wien tätig. Darüber hinaus bin ich Mutter von zwei Söhnen, 15 und 7 Jahre alt. Heuer habe ich noch den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und bin als Karten-Designerin mit meiner Marke „GIS The World“ unterwegs. Und Floorball in einer Damenmannschaft spiele ich auch noch! (lacht)
Am 8. März findet der Internationale Frauentag statt. Was meinst du, braucht es überhaupt noch einen Frauentag? Sollten wir nicht schon längst weiter sein?
ES: Wir dürfen die Geschichte dieses Tages nicht vergessen. Er entstand Anfang des 20. Jahrhunderts im Kampf um die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Ich finde, an diesem Tag sollten wir alle den Vorreiterinnen der feministischen Bewegung, die für uns das Wahlrecht schwer erkämpft haben, gedenken. Aber der Weg, den sie angefangen haben, ist noch längst nicht zu Ende. Wir haben so viele offene Baustellen, wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein sollten – von der wirklichen Gleichberechtigung können wir nicht sprechen. Klar haben wir schon vieles erreicht, aber besonders in der aktuellen politischen Situation wird es ersichtlich, wie fragil alle diese Errungenschaften sind. Wie schnell alles, was so schwer erkämpft wurde, uns weggenommen werden kann. Wie schleichend solche Rückschritte sind! Wir sind heute aufs neue gefordert, für unsere Rechte aufzustehen. Der Frauentag ist ein Zeichen, ein Symbol und eine Inspiration. Er ist ein Grund mehr, über die bestehen Probleme zu reden und diese ins Bewusstsein zu holen. Er ist aber auch ein Anlass, über inspirierende Frauen zu berichten und jungen Frauen positive Beispiele zu zeigen.
Wie lebt es sich als Frau in Österreich, welche Unterschiede gibt es zum Frausein in Russland?
Du stellst eine sehr schwierige Frage. Frausein in Russland und in Österreich ist so anders und sehr ähnlich gleichzeitig. Es ist anders, weil Frauen in Russland in einer viel traditionelleren und partiarchaleren Gesellschaft leben, aber es ist dennoch sehr ähnlich, weil im Prinzip wir alle mit den gleichen Herausforderungen zu ringen haben: Wie bringe ich alles unter einen Hut – Familie, Beruf, Leben? Jedoch sind die Genderrollen in Russland viel stärker ausgeprägt als hier – es gibt eine sehr klare und strikte Aufteilung in die Aufgaben von Männern und Frauen, was Berufe und Verhalten betrifft. In Österreich ist der gesellschaftliche Druck, der uns in diese Rollen zwingt, wesentlich kleiner, daher fällt es hier Frauen leichter, ihr Leben freier zu gestalten.
Auch in Russland gehörten Anfang des 20. Jahrhunderts die Frauen zu den Vorreiterinnen der Frauenrechtsbewegung – dennoch werden im heutigen Russland die traditionellen Werte gefeiert. Ich wünsche mir sehr, dass in Russland die Menschen beispielsweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht diskriminiert werden. Gewalt an Frauen und Mädchen ist genau wie hier auch in Russland ein sehr großes Thema – die Dimensionen des Problems unterscheiden sich jedoch. In den letzten Jahren
hat die russische Regierung beschlossen, die häusliche Gewalt zu dekriminalisieren. Jetzt haben wir dort eine Situation, dass Männer quasi eine „Carte Blanche“ auf Gewalt haben. Wenn ein Mann seine Frau schlägt, droht ihm nicht mehr als eine administrative Strafe, die in Wirklichkeit fast nie geahndet wird. Die Polizei sieht solche Fälle nicht als beachtenswert und greift nur in äußerst schweren Fällen ein. Auch die Gesellschaft toleriert häusliche Gewalt irgendwie. Man sagt nach wie vor: „Er schlägt bedeutet, er liebt“.
Sexuelle Gewalt ist auch ein Thema. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass fast jede Frau in Russland sexuelle Gewalt in irgendeiner Form erlebt. Der Frauenkörper generell
wird in Russland über alle Maßen sexualisiert und objektiviert. Frauen sind einem unvorstellbaren gesellschaftlichen Druck nach Schönheit, Jugendlichkeit und Schlankheit ausgesetzt.

Wie leicht, bzw. wie schwer hat man es als Migrantin in Österreich?
Da muss man differenzieren. Es hängt davon ab, von wo die Frau kommt. Kommt sie aus dem Westen oder Norden, ist das eine Geschichte. Hat man jedoch nicht so viel Glück gehabt, im „richtigen“ Land geboren zu sein, wird es schwieriger. Man muss wissen, dass sich bei Migrantinnen mehrere Formen der Diskriminierung zusammenfinden, etwa aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, Religion usw., die sich gegenseitig verstärken. Ehrlich gesagt, macht es die aktuelle Regierung für uns nicht gerade leichter – die Finanzierung von Sprachkursen und Integrationsprogrammen wird gekürzt. Gleichzeitig wird von diesen Frauen, die oft aus Krisenregionen kommen, traumatisiert sind und Unbeschreibliches erlebt haben, erwartet, dass sie sich so schnell wie möglich integrieren, sowohl in die Gesellschaft als auch am Arbeitsmarkt. Als ob nichts war. Es ist sehr schwer, sich in eine Gesellschaft zu integrieren, die nicht bereit ist,
dich aufzunehmen. Frauen mit Fluchterfahrung sagen, dass sie oft behandelt würden, als ob sie um etwas bitten müssen. Dabei sind sie so engagiert, arbeiten ehrenamtlich, sind gut ausgebildet, haben gute Berufsausbildungen in ihrer Heimat abgeschlossen. Einige sind Journalistinnen, Grafikerinnen, Rechtsanwältinnen und dann wird ihnen gesagt, „Geh und arbeite doch als Kellnerin, oder bist du dir dafür zu schade?“ Es ist doch
nachvollziehbar, dass es sehr frustrierend ist, keine der Qualifikation entsprechende Arbeit zu haben. Als Migrantin muss man oft alles von vorne beginnen – egal was man vorher schon alles erreicht hat.
Was kann der Staat tun, um Frauen zu unterstützen?
Die Anforderungen an die Bundesregierung wurden eigentlich schon formuliert – ich spreche jetzt vom Frauenvolksbegehren 2.0. Wenn ich ein paar Wünsche frei hätte, würde ich mir ein Gesetz, das Diskriminierung am Arbeitsmarkt aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder Nationalität vermeiden soll, wünschen.
Ich würde mir auch wünschen, dass die Regierung feministische und/oder frauenspezifische Organisationen und Projekte ausreichend finanziert, weil diese sich seit Jahren mit Frauenthemen beschäftigen und wissen, wo und in welcher Form Frauen Unterstützung benötigen.
Die aktuelle Gewaltwelle an Frauen sorgt für Erschütterung und Ratlosigkeit. Was ist da nur los, was meinst du? Warum werden so viele Frauen von ihnen nahestehenden Männern ermordet, woran kann das liegen?
Ja, du hast vollkommen recht, es ist erschütternd und macht sprachlos. Mord an einer Frau ist jedoch das letzte Bindeglied einer langen Kette verschiedener Formen der Gewalt an Frauen und Mädchen. Schaut euch die Zahlen an, jede fünfte Frau in Österreich ist mindestens einmal im Leben von Gewalt betroffen, jährlich flüchten über 3.000 Frauen und Kinder in Frauenhäuser, auch die Zahlen der Wegweisungen sind unvorstellbar hoch – rund 9.000 jährlich. Diese werden oft als Einzelfälle gesehen, als Ausnahmen, jedoch wissen wir ganz genau, dass diese einen strukturellen Charakter haben – und darüber müssen wir reden. Strukturelle Gewalt ist sozusagen die Ursache von Gewalt an Frauen und Mädchen. Je ungleicher die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen sind, desto eher geraten Frauen in Gewaltsituationen und desto eher kann der Partner diese Situation ausnutzen und diese Macht missbrauchen.
Wir müssen auch darüber reden, dass Gewalt nichts Abstraktes ist. Schau, wir sagen immer „Jede fünfte Frau in Österreich ist in von der Gewalt betroffen“, man kann das aber auch anders formulieren, nämlich „jeder fünfte Mann in Österreich ist gewalttätig“.
Nur so wird es eben nie gesagt. Man muss den Täter aber mehr benennen, weil die Sprache unsere Wirklichkeit konstruiert. Frauen als Opfer und Gewalt wird so quasi zur Naturkraft. Bei diesen Formulierungen wie „Die Frau wurde ermordet“, bleibt der Täter unsichtbar. Es wird zu selten gesagt „Ein Mann hat eine Frau ermordet“. Außer er hat einen Migrationshintergrund… Die Gewalt wird dann mit allen möglichen Mitteln erklärt, sei es Nationalität, sei es Religion, sei es Klasse, sei es Bildung, aber nie dadurch, dass der Täter zu einem bestimmten Geschlecht gehört. Das ist absolut falsch. Gewalt kommt in allen Ländern und in allen Schichten vor. Über die männliche Gewalt müssen wir reden! Gewalt entsteht dort, wo es Machtanspruch gibt – es geht immer um Kontrolle. Gewalt wurzelt in dem Gedanken, dass er einen Anspruch auf die Frau hat, dass er über sie bestimmen kann, dass sie ihm gehört. Wir haben in der Gesellschaft nach wie vor ein Männlichkeitsbild von Dominanz, Härte, Durchsetzungsfähigkeit und Gewalttätigkeit, an dem sich die Jungen glauben orientieren zu müssen. Noch einmal, es sind nicht die Männer, die schlecht sind, sondern das Männlichkeitsbild!
Wie können wir als Gesellschaft Frauen besser vor solchen Gewaltausmaßen schützen? Was kann jede einzelne von Gewalt betroffene Frau tun?
Der beste Schutz ist Prävention! Wir müssen bei der Ursache ansetzen. Effektiv können wir gegen Gewalt durch Männer nur durch eine systematische Entpatriarchalisierung von Männlichkeit vorgehen. So wie in der Gilette Werbung. Gewalt muss einfach uncool werden! Da sind wir alle gefordert, das bestehende Männlichkeitsbild grundlegend und nachhaltig zu verändern. Gleichzeitig muss viel mehr in Prävention und in Schutz investiert werden. Es darf doch nicht sein, dass hier finanzielle Mittel gekürzt werden. Es widerspricht jeder Logik. Wir müssen Beratungsstellen ausbauen, es muss viel mehr Sensibilisierungsarbeit geleistet werden. Mädchen und Frauen müssen lernen, die ersten Anzeichen von Gewalt in der Beziehung sehr früh zu erkennen. Denn je länger man die Gewalt duldet, desto schwerer kommt man heraus und desto stärker wird auch die Gewalt. Und nein, er wird sich nicht ändern. Jede Frau kann die Frauenhelpline 0800 222 555 anrufen und sich beraten lassen. Diese Beratungs- und Hilfsangebote sind kostenlos und rund um die Uhr erreichbar.
Mit deinem Radioprojekt „Subject Woman“ greifst du brennende Frauenthemen auf…
Wir wollen, dass Frauen mit Migrationserfahrung nicht nur Objekte der Berichterstattung bleiben, sondern Mediengestaltung proaktiv in die Hände nehmen. Subject Woman ist unser Versuch, zu aktiven medialen Subjekten zu werden – wir wollen über uns und über das, was uns wirklich beschäftigt und bewegt, selber erzählen. Wir wollen, dass jede Frau jeder Couleur (Alter, Herkunft, Religion, Zugehörigkeit) selber zu Wort kommt, dass sie ihre Perspektiven und Meinungen zu den verschiedensten aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen zeigt und dadurch sichtbar und hörbar wird. Was wir aber nicht erwartet haben, ist, dass dieses Projekt so eine Resonanz erzeugen wird. Nach nicht einmal einem Jahr sind wir mittlerweile bei vier Radiostationen zu hören! In Kärnten auf Radio Agora, in Vorarlberg auf Proton, in Wien auf Radio Orange und in St.Pölten auf Campus & City Radio. Im letzten Monat wurde unser Verein „Subject Woman. Verein zur Förderung der
gesellschaftlichen und politischen Beteiligung der Frauen mit Migrationserfahrung“ gegründet. In diesem wollen wir uns durch gemeinsame Medienproduktion politisch und gesellschaftlich engagieren, um am politischen Leben dieses Landes gleichberechtigt teilzuhaben.
Wie kann jede/r von uns ein besseres Vorbild für unsere Mädchen und Jungen sein
Einfach tun, in sich vertrauen, unser Bestes geben, nach vorne schauen, an sich und an seine Kräfte glauben, nicht die von der Gesellschaft für uns konzipierten Grenzen akzeptieren und nie aufgeben. Eine Frau kann Berge versetzen.
Druckversion: Interview Elena Smirniva